„BLACK COFFEE" von Gianfranco Malorgio
- CARL

- vor 9 Stunden
- 2 Min. Lesezeit

Gianfranco Malorgios „Black Coffee" erscheint wie eine leise Erscheinung etwas, das den Raum nicht sofort betritt, aber dessen bloße Anwesenheit die Luft verändert. Die ersten Takte kündigen sich nicht an; sie gleiten hinein wie der Schatten, der über eine Fensterbank wandert, unaufdringlich, aber unausweichlich. Was sich entfaltet, ist weniger eine Komposition als eine Atmosphäre, die sich verdichtet, als würde Malorgio eher mit Rauch als mit Klang zeichnen. Anstatt auf dramatische Gesten zu setzen, baut er Spannung auf, indem er sich weigert, irgendetwas zu schnell aufzulösen. Die Noten schweben gerade lang genug, um andeuten zu können, dass sie etwas verbergen, während die Pausen zwischen ihnen sich wie Staub in einem vergessenen Dachboden niederlassen. Es ist eine Klangwelt, die durch Zurückhaltung geformt wurde eine, in der jede Geste überlegt wirkt und jede sanfte Abweichung auf etwas Größeres außerhalb des Rahmens deutet. Die Beschränkung selbst wird zum Ausdrucksmittel, fast provokativ, wie jemand, der beschließt, eine Frage nicht zu beantworten, von der du nicht wusstest, dass du sie gestellt hast.
Beeindruckend ist, wie Malorgio einen spürbaren emotionalen Strom durch solch reduziertes Material zieht. Die Gitarrenlinie schweift nicht umher und schmückt nichts aus; sie verfolgt einen einzigen, unerschütterlichen Weg, fast rituell in ihrer Zielstrebigkeit. Es liegt eine Intimität in der Art, wie jede Phrase dargeboten wird, als würde das Instrument sich vorbeugen, um ein Geständnis zu flüstern, das nur halb zum Hören bestimmt ist. Diese Nähe verstärkt die Bedeutung jedes Intervalls, jeder Stille, die danach einsetzt. Hörer*innen, die seinen Jazz-Hintergrund kennen, werden hier vielleicht Spuren davon bemerken allerdings nur im Geist. Jeglicher Schwung oder jede spielerische Verzierungen wurden bis aufs Skelett reduziert, wodurch eine Klarheit entsteht, die fast monastisch wirkt. Und doch liegt unter dieser Strenge ein Flimmern von Wärme ein menschlicher Puls, der sich im Zwielicht zu beruhigen versucht. Malorgio überflutet nicht mit Nostalgie oder Schwermut; stattdessen stellt er die Zuhörenden auf eine schmale Schwelle zwischen Distanz und Verletzlichkeit.

Während das Stück sich entfaltet, lassen sich unweigerlich Landschaften erahnen, die eher von Erinnerung als von Realität geprägt sind Orte, die nicht dunkel sind, weil die Welt es wäre, sondern weil Erinnerung selbst es ist. „Black Coffee" malt keine Szenen; es ruft Empfindungen hervor: das Ziehen in der Brust vor einer unangenehmen Wahrheit, das prickelnde Bewusstsein, beobachtet zu werden, das Schwindelgefühl beim Betreten eines Raumes, der einst Bedeutung hatte. Die Musik lenkt nicht zu einer Geschichte; sie fordert dazu auf, die eigene auszugraben. In einem Katalog voller mutiger Konzepte und üppiger Texturen zeichnet sich „Black Coffee" dadurch aus, dass es jegliches Beiwerk verweigert. Seine Kraft liegt in der Untertreibung im Mut, eine einzige Idee mit unerschütterlicher Klarheit zu präsentieren. Malorgio bietet kein Spektakel, sondern eine Destillation, einen Moment, in dem die Zuhörenden einem Gefühl gegenüberstehen, das sich nicht sauber auflösen lässt. Es bleibt nach dem letzten Ton bestehen, wie der Geschmack von etwas Bitterem, das man nicht ganz vergessen möchte.
SCHRIFTSTELLER: Carl





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